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Der Krieg gegen die Ukraine im Jahresabschluss 2021

Derzeit überschlagen sich die Prognosen hinsichtlich der Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine sowie der bereits ergriffenen und noch zu ergreifenden Sanktionen gegen Russland. Insbesondere die Einschränkung von Gas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland wird nicht nur die Russische Wirtschaft, sondern auch die des Westens belasten. Dabei hängt die Höhe der Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von der Stärke der Sanktionen ab. Bei einem vielfach geforderten vollständigen Importstopp für Gas dürfte eine Rezession nicht ausgeschlossen sein. Lesen Sie hier den Beitrag als Download.

Unter diesen Unwägbarkeiten findet Anfang 2022 in vielen Unternehmen die Feststellung des Jahresabschlusses 2021 statt. Welche Konsequenzen hat der Angriff auf die Ukraine für die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen im abgeschlossenen Geschäftsjahr?

Die Frage, ob und inwieweit der Krieg, die getroffenen Sanktionsmaßnahmen und ihre wirtschaftlichen Folgen in den HGB- und IFRS-Jahresabschlüssen zu berücksichtigen sind, kreist um zwei Begriffe:

  • Wertbegründung – Wertaufhellung und
  • Going-Concern (Fortführungsannahme)

Das Prinzip der Wertbegründung besagt, dass Informationen zu wertbegründenden (auch: wertbeeinflussenden) Sachverhalten, die erst nach dem Bilanzstichtag (vielfach: 31.12.2021) eingetreten sind, nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Kriegsbeginn fällt in den Februar 2022, womit seine wirtschaftlichen Auswirkungen keinen Niederschlag in den Jahresabschlüssen zum 31.12.2021 finden. Ähnliches gilt für Konzern-Abschlüsse nach IFRS.

Demgegenüber besagt das Wertaufhellungsprinzip, dass „alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlusstag entstanden sind“, berücksichtigt werden müssen, selbst wenn diese erst „zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekanntgeworden sind.“ (§ 252, Abs. 1, Nr. 4 HGB). Für derartige Risiken sind unter bestimmten Voraussetzungen Rückstellungen zu bilden. Die einzelwirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs dürften über die Bildung von Rückstellungen jedoch nur unzureichend erfasst werden.

Umfassender ist daher der Grundsatz des Going-Concern (§ 252, Abs. 1, Nr. 2 HGB), der über die verpflichtende Antizipation von Risiken hinausgeht. Er besagt, dass in der Regel von der Fortführung des Unternehmens auszugehen ist. D.h. die Vermögensbewertung erfolgt entsprechend der Nutzungsdauern und planmäßigen Abschreibungen. Beim Wegfall der Fortführungsannahme sind dagegen Einzelveräußerungswerte (Liquidationswerte) anzusetzen, die vielfach unter den fortgeführten Werten liegen dürften.

Die Frage nach der Unternehmensfortführung ist umfassender als die nach vorhersehbaren Risken. Dabei hat das Management die Fähigkeit des Unternehmens einzuschätzen, den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Diese Frage haben sich viele Unternehmen bereits angesichts der Corona-Pandemie stellen müssen und stellt sich jetzt erneut. Die „Dynamik“ des Kriegsverlaufs und einer weiteren Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sowie dessen Reaktionen machen es in vielen Fällen schwierig, eine eindeutige Prognose hinsichtlich Fortführung oder Nicht-Fortführung aufzustellen. Insbesondere bei Unternehmen, deren Geschäft folgende Merkmale ausweist, dürfte die Prognoseunsicherheit hoch sein:

  • Lieferanten mit Sitz im Kriegsgebiet
  • Lieferanten, die von Sanktionen der USA oder der EU betroffen sind
  • Absatzmärkte im Kriegsgebiet und/oder von Sanktionen betroffene Geschäftspartner
  • Unternehmen mit hohen Investitionen im Kriegsgebiet oder in Russland und Belarus
  • Unternehmen mit hohen Forderungsbeständen gegenüber Unternehmen, die vom Ukraine-Krieg oder Sanktionen mittelbar oder unmittelbar betroffen sind
  • Unternehmen mit energieintensiver Produktion
  • Unternehmen, die von einer kriegsbedingt abgeschwächten Investitions- oder Konsumkonjunktur stark betroffen sind

Wird in diesen Fällen der Jahresabschluss unter der Fortführungsannahme aufgestellt, so ist auf eventuell bestandsgefährdende Risiken in Anhang und Lagebericht sowie auf den beabsichtigten Umgang damit einzugehen. Ein pauschaler Hinweis aufgrund der Unsicherheiten hinsichtlich des Ukraine-Kriegs und seiner Folgen reicht dabei nicht aus. Der Abschlussprüfer hat im Bestätigungsvermerk darauf hinzuweisen.

Besondere Aufmerksamkeit ist gefordert, wenn das Management einem hohen Druck unterliegt, bestimmte finanzielle Ziele erreichen zu müssen oder Anreize zur Maximierung finanzieller Ziele bestehen. In solchen Fällen, ist eine bewusst falsche Darstellung der kriegsbedingten Risiken nicht auszuschließen (dolose Handlungen).

Für die Aufstellung des Jahresabschlusses ist die Einschätzung des Managements hinsichtlich der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Geschäftstätigkeit grundlegend. Unsicherheiten sind kein Grund darauf zu verzichten.

Die Einzelrisiken sind im Risikobericht (Bestandteil des Lageberichts) sowie auch die geplanten Gegenmaßnahmen näher zu beschreiben. Der Abschlussprüfer hat die Annahmen (z.B. Konsistenz, Berücksichtigung aktueller Informationen) zu prüfen. Das Prüfungsurteil hat die Schlüssigkeit der Prognose und der Maßnahmen zum Gegenstand; es beinhaltet keine Aussage zum Eintreffen der Annahmen.

Letztlich folgt die Einschätzung der Fortführungsfähigkeit der Unternehmen dem Weg zwischen einer subjektiven Sicht, die mit weiteren verfügbaren Informationen zu objektivieren ist, und einer objektiven Sicht, die im dafür erforderlichen Aufwand und der nötigen Zeit für die Informationsbeschaffung ihre Grenzen findet.