Im Zähler steht, was zählt. Ein Quotient von 53 besagt, dass der Zähler 53-mal so viel zählt wie der Nenner. 53-mal mehr verdienen die DAX-Vorstände durchschnittlich als der Durchschnitt der Angestellten (FAZ vom 30. Januar 2023). Spitzenreiter ist Adidas mit dem 114-fachen; am Ende liegt Daimler Truck mit dem 13-fachen.
Wieviel mehr als ihre Angestellten verdienen CEOs?
Durchschnittliche Vergütung der Vorstandsmitglieder von DAX-Unternehmen in Relation zu den Personalaufwendungen pro Mitarbeiter im Geschäftsjahr 2021
Grafik: cbt. / Quellen: Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, TU München / Datenrecherche: Matthias Janson (Statista)
Aber leisten die Vorstände im Durchschnitt auch 53-mal so viel wie ihre Angestellten? Das ist die Frage. Höchstverdiener scheinen das unerschütterlich zu glauben: Höhere Leistung muss durch höheres Einkommen honoriert werden. Allerdings hat das Argument: „Leistung-muss-sich-lohnen“ an Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft verloren; fest daran glauben tut man nur noch in „Höchstverdienerkreisen“ – im Zähler steht, was zählt. Bei Durchschnitts- und Niedrigverdienern führt höhere Leistung jedoch keineswegs zu höheren Einkommen, sondern zu mehr Erschöpfung – man denke beispielsweise an die Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen.
Kehren wir den Bruch mal um: Dann leistet ein durchschnittlicher Angestellter nur 1,9% dessen, was die Vorstandsvorsitzenden der DAX-Unternehmen im Durchschnitt leisten – bei Adidas sind es nur 0,9%; bei Daimler Truck immerhin noch 7,7%. Die Riesen-Performer müssen einem Heer von Zwerg-Performern zeigen, wie Leistung geht. Es müssten sich über 50 Beschäftigte ins Zeug legen, um das zustande zu bringen, was ein einzelner Vorstandsvorsitzende schafft.
Nun bringen die Vorstandsvorsitzenden andere Leistungen als die Beschäftigten. Sie stehen nicht am Band und schrauben keine Autos zusammen. Aber gerade die Unvergleichbarkeit der Leistungen verstärkt die Zweifel an der Rechtfertigung einer derart hohen Einkommensspreizung.
Gerät aber mal ein Unternehmen in die Krise oder werden Spitzenmanager angeklagt, so wird das Leistungsargument schnell zurückgenommen. Dann haben die betroffenen Hoch- und Höchstverdiener nichts gewusst (z.B. Dieselskandal), auf nachgeordneten Managementebenen hat man eigenmächtig gehandelt, man wurde hintergangen, an sich geeignete Maßnahmen haben nicht, unzureichend oder zu
spät gegriffen, man hat nachteilige Entwicklungen nicht rechtzeitig kommen sehen können usw., usf. Das Leistungsargument wird in diesen Fällen der Beteuerung der eigenen Unschuld geopfert.
Die hohe Einkommensspreizung hat mit Leistung wenig zu tun. Leistungsunterschiede können nicht so hoch sein, dass sie ein zig-fach höheres Einkommen rechtfertigen, und umgekehrt bewirken Einkommensanreize keine derart exorbitante Leistungssteigerung. Die Vorstandseinkommen resultieren überwiegend aus variablen Bestandteilen (Boni). Bei Kaspar Rorsted beispielsweise, dem Vorstandsvorsitzenden von Adidas, beläuft sich die Grundvergütung auf 2,1 Mio.€ und damit 23% der Gesamtvergütung nach § 162 AktG. Aber bedarf es zur Leistung eines Vorstands überhaupt der Anreizprogramme? Fiele die Vorstands-leistung ohne Boni schlechter aus? Wenn dem so wäre, so müsste man fragen, was es mit der Dienstpflicht auf sich hat, die für alle Unternehmensbeschäftigten selbstverständlich gilt. Können Boni unternehmerische Fehlentscheidungen verhindern? Nach vielen leidvollen Erfahrungen – leidvoll für die betroffenen Beschäftigten – der Vergangenheit ist eher das Gegenteil zu vermuten.
Das Vergütungssystem für Vorstand und Aufsichtsrat bei Aktiengesellschaften bestimmt die Hauptversammlung. Man liegt sicherlich nicht falsch, in der Vorstandsvergütung das Ergebnis eines Netzwerkens zwischen Vorstand, Aufsichtsrat, einflussreichen Großaktionären und Depotstimmrechtsvertretern zu sehen.
Eine sich daraus ergebende Einkommensungleichverteilung in der Gesellschaft ist nicht das Problem dieser Akteure. Wohl aber das des demokratischen Staates, den eine wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zu spalten droht. Seine Möglichkeiten, die Höhe der Vorstandsbezüge zu beeinflussen geht jedoch gegen Null. Damit müsste er die Privatautonomie einschränken, und ein Grundrecht, das damit verletzt würde, fände sich bestimmt. Man denke etwa an das Schicksal der doch recht zaghaften „Reichensteuer“. Nun ist es der Staat, der Privatautonomie garantiert und dafür den Bürgern Steuern in nicht unerheblichem Umfang aufbürdet. Maßhalten bei den Managerbezügen stellt eine Form der Anerkennung dieser Funktion dar. Aber: Lohn- und Gehaltssteigerungen sind auch geeignete Maßnahmen, die Spreizung nicht noch größer werden zu lassen.
Stand: 13. April 2023